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Wakkerpreis: Wie Poschiavo zum Geheimtipp der Schweiz wurde

2025-01-14

Autor: Alina

Bis in die 1970er-Jahre war der berühmte Berninapass im Winter geschlossen und die Grenze zu Italien nachts unpassierbar – kaum ein Schweizer Tal ist abgelegener als das Puschlav.

Früher nannten Lokalhistoriker das Puschlav das verlorene Tal, erklärte Daniele Papacella, ein in Poschiavo aufgewachsener RSI-Journalist und Historiker. Heute ist das Bild jedoch ein ganz anderes: Poschiavo hat sein einstiges Image als isoliertes Dorf längst hinter sich gelassen.

Seit der Jahrtausendwende hat sich eine neue Dynamik entwickelt, sagt Papacella, der auch Präsident der historischen Gesellschaft in Poschiavo ist. Die Fusion mehrerer Kraftwerksgesellschaften zur Repower hat neue Steuereinnahmen generiert und den Landwirten neue Perspektiven eröffnet, da sie nun auf lokal produzierte hochwertige Produkte setzen.

Das Schweizer Heimatschutz hat Poschiavo den Wakkerpreis 2025 verliehen, weil das Bergdorf seine Abgeschiedenheit in ein Markenzeichen verwandelt hat. Es wird als Vorbild für andere Bergregionen angesehen.

„Es gibt sogar junge Menschen, die zurückkehren“, berichtet Giovanni Jochum, Gemeindepräsident von Poschiavo. Die Kleinräumigkeit des Tals ermögliche es ihnen, eigene Projekte zu verwirklichen. Unternehmer haben mit Puschlaver Kräutertee Erfolge gefeiert, und die Region hat ein steigendes Interesse an nachhaltigen Produkten.

Poschiavo bietet zudem ein bemerkenswerteres Kulturangebot als viele vergleichbaren Gemeinden mit ähnlicher Einwohnerzahl von etwa 3500. Dies sei der enormen Beteiligung ehrenamtlicher Helfer zu verdanken, wobei die gesamte Bevölkerung aktiv mitwirkt.

Die Auswanderung war für viele Jahre eine Konstante im Tal. Heute ist Poschiavo so attraktiv, dass sich sogar Historiker wie Daniele Papacella vorstellen können, im Alter dorthin zurückzukehren. Viele Jugendliche verlassen das Tal, um das Gymnasium in Städten wie Chur zu besuchen. Papacella sieht dies jedoch positiv: „Die Zeit außerhalb ermöglicht es, Neues zu lernen und die gewonnenen Erfahrungen zurück ins Tal zu bringen.“ Das Gefühl der Auswanderung hat in Poschiavo oft eine Aufbruchstimmung ausgelöst.

Andrea Tognina, ein Historiker, der ebenfalls in den Puschlav auswanderte, hebt hervor, dass Poschiavo sich nie als rückständig fühlte. „Es war immer weltoffen“, sagt er. In den 1920er- und 1930er-Jahren konnte man in den lokalen Beizen unterschiedlichste europäische Sprachen hören. Dies waren die zurückkehrenden Emigranten, die vor der Russischen Revolution oder dem Spanischen Bürgerkrieg flohen.

Poschiavo hat immer schon die Fähigkeit besessen, aus der Not das Beste zu machen. Dies wurde besonders nach dem verheerenden Hochwasser im Jahr 1987 deutlich. „Das Unwetter hat das Dorf erneuert, ursprünglich war Poschiavo nicht besonders schön“, sagt Tognina.

Die schweizweite Solidarität nach dem Hochwasser hat auch gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. In dieser Zeit erlebte das Tal eine Öffnung, die dazu führte, dass Poschiavo heute stolz den Wakkerpreis empfangen kann. Die Transformation dieser einmal als verloren geglaubten Region zu einem dynamischen Ort zeigt, wie Resilienz und Gemeinschaftssinn Veränderung bewirken können.