Staatsbesuch in der Schweiz: Tschechiens Perspektive auf den Ukrainekrieg
2024-11-04
Autor: Lukas
Tschechien hat mit beeindruckenden 400.000 Ukrainern pro Kopf die meisten Flüchtlinge in Europa aufgenommen – das bei nur zehn Millionen Einwohnern. Im Vergleich dazu hat die Schweiz bis jetzt etwa 67.000 Ukrainer aufgenommen.
Einen stark unterschiedlichen Umgang mit den Geflüchteten zeigt auch die Arbeitssituation: In Tschechien sind über 75% der Geflüchteten erwerbstätig, während das in der Schweiz für mehr als 75% nicht zutrifft. Präsident Pavel betont, dass die ukrainischen Flüchtlinge Tschechien weniger kosten, als sie an Steuern zahlen, was ein weiteres Indiz für die erfolgreiche Integration darstellt.
Aber woher kommen diese großen Unterschiede zwischen den beiden Ländern? Andreas Pavel führt an, dass in Tschechien bereits vor dem Krieg eine große ukrainische Gemeinschaft lebte, die die Integration um ein Vielfaches erleichtert hat. Zudem sind Sprache und Kultur näher miteinander verwoben. Pavel mutmaßt auch, dass das Schweizer Sozialsystem möglicherweise zu großzügig sei, was die Arbeitsanreize schwächen könnte.
Beide Länder kämpfen jedoch mit einem Fachkräftemangel. Viele der ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz sind gut ausgebildet: Ein Drittel verfügt über gute Englischkenntnisse und über die Hälfte hat einen höheren Berufsabschluss. Unter diesen haben ein Viertel technische Berufe wie Ingenieure oder IT-Fachkräfte. Dennoch ist ihre Präsenz auf dem Schweizer Arbeitsmarkt erschreckend gering.
Präsident Pavel äußert auch Bedenken gegenüber dem Schutz durch die Schweizer Neutralität. Tschechien hat in einer einzigartigen Initiative weltweit Artilleriemunition für die Ukraine beschafft. Eine passive Haltung einzunehmen und darauf zu hoffen, ungeschoren davon zu kommen, hält er für eine illusorische Vorstellung. In seinen Augen sieht Russland sich nicht nur als Staat, sondern als Zivilisation im Kampf gegen den "dekadenten Westen".
„Unsere Feinde unterscheiden nicht zwischen NATO, EU oder neutralen Staaten“, betont Pavel. Dieser Kampf zwischen Autokratien und Demokratien führe dazu, dass auch neutrale Länder wie die Schweiz bereits Ziel von Cyberattacken werden könnten. Pavel warnt: „Wir müssen uns fragen, ob unsere Neutralität uns auch in Zukunft schützt.“ Zudem glaubt Pavel, dass die Debatte über Verteidigungsausgaben individuell betrachtet werden muss: „Für ein Land mag ein Anteil von anderthalb Prozent ausreichen, aber ein anderes benötigt vielleicht drei Prozent.“
Ein weiterer bemerkenswerter Punkt ist die historische Beziehung zwischen Tschechien und der Schweiz. Als 1968 die Truppen des Warschauer Paktes in die damalige Tschechoslowakei einmarschierten, zeigte die Schweiz eine beeindruckende Solidarity, indem sie die meisten Flüchtlinge aus diesem Land in Europa aufnahm. Diese tiefen, emotionalen Verbindungen zwischen den beiden Ländern unterstreichen die gegenseitige Unterstützung im Angesicht von Krisen.