
„Provokante Ideen müssen zurückgenommen werden“: Jérôme Cosandey im Interview
2025-08-28
Autor: Emma
Der Wandel vom Denker zum Entscheidungsfinder
Jérôme Cosandey, einst einer der führenden Köpfe der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse, hat vor 100 Tagen die Leitung der Direktion Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) übernommen. In dieser neuen Rolle sieht er sich aktuellen Herausforderungen gegenüber, von einem Bergsturz in Blatten bis hin zu den US-Zöllen und den laufenden EU-Verhandlungen.
Ein unerwarteter Einstieg in das Amt
Im Gespräch erinnert sich Cosandey an die plötzlichen Ereignisse, die ihn gleich zu Beginn seines Amts verstärkten mussten. "Gerade mal zehn Tage im Amt, und schon geschah der Bergsturz in Blatten. Berechtigterweise denkt man nicht sofort an die Direktion Arbeit, aber die Auswirkungen waren enorm: Unternehmen mussten schließen, die Straßen waren blockiert. Sofort mussten wir klären, was das für die Arbeitslosenversicherung und Kurzarbeit bedeutet," erklärt er.
US-Zölle und wachsende Arbeitslosigkeit
Cosandey berichtet, dass die US-Zölle und die damit verbundenen wirtschaftlichen Prognosen seiner Abteilung viel abverlangen. "Es ist die größte Herausforderung seit Corona, auch wenn wir in der Vergangenheit bereits mit viel größeren Krisen konfrontiert waren, wie dem Frankenschock oder der Covid-Pandemie. Derzeit sind es 15.000 Arbeitnehmer, die kurzarbeiten, während während der Pandemie über eine Million betroffen waren."
Geopolitische Spannungen schlagen auf die Arbeitslosenquote durch
Die Arbeitslosigkeit ist seit Mitte 2023 gestiegen, was hauptsächlich auf geopolitische Spannungen zurückzuführen ist. Derzeit steht die Quote bei 2,7 Prozent, und Branchen wie die Uhren- sowie Maschinenindustrie sind besonders betroffen. "Für dieses Jahr rechnen wir mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 2,9 Prozent, die bis 2026 auf 3,3 Prozent steigen könnte. Das ist über dem langjährigen Durchschnitt, aber noch kein Katastrophenszenario," so Cosandey.
Die Brennpunkte der Kurzarbeit
Aus seinen Analysen geht hervor, dass vier Branchen—Metallindustrie, Maschinenbau, Elektrobranche und Uhrenindustrie—80 Prozent der Anträge auf Kurzarbeit ausmachen. In wirtschaftlich schwachen Regionen wie Jura oder Neuenburg ist die Betroffenheit besonders hoch: Bis zu 30 Prozent der Beschäftigten sind in diesen Sektoren tätig. "Im Kanton Jura ist die Kurzarbeitsrate bei 3,5 Prozent, und die Arbeitslosigkeit beträgt fünf Prozent. Damit sind insgesamt rund 8-9 Prozent der Bevölkerung von Arbeitslosigkeit betroffen," sagt Cosandey.
Fazit: Herausforderungen und Ausblick
Jérôme Cosandey steht vor großen Herausforderungen, die weitreichende Folgen für die Schweizer Wirtschaft haben könnten. Sein Ansatz, die provokanten Ideen aus der Denkfabrik etwas zurückzunehmen und die Interessen aller Parteien in den Vordergrund zu stellen, könnte entscheidend sein für die Zukunft der Arbeit in der Schweiz.