Wissenschaft

Mittelalter: Frauen hatten eine bedeutende Rolle als Schreiberinnen

2025-03-27

Autor: Simon

Mindestens jede hundertste Schrift aus dem Mittelalter zeigt die Handschrift einer Frau. Obwohl Schreiberinnen in einer von Mönchen dominierten Welt der Buchkunst eine Ausnahme darstellten, waren sie weit mehr als nur eine Fußnote der Geschichte. Zu diesem bemerkenswerten Ergebnis kommt eine neue umfassende Studie der Universität Bergen in Norwegen, die in der Fachzeitschrift "Humanities and Social Sciences Communications" veröffentlicht wurde. Diese Analyse ist die erste ihrer Art, die den Anteil und den Einfluss von Frauen in der mittelalterlichen Schreibtradition näher untersucht.

Das Forschungsteam unter der Leitung der Linguistin Åslaug Ommundsen analysierte eine Sammlung von 23.774 Manuskripten aus dem Zeitraum von etwa 800 bis 1626, die im Benediktinerkloster Le Bouveret in der Schweiz katalogisiert wurden. Anhand der sogenannten Kolophone – den Schlussnotizen, in denen sich die Schreiberinnen und Schreiber verewigten – ordneten sie 1,1 Prozent der Werke Frauen zu. Ab dem Jahr 1400, mit dem Aufkommen lokaler Schriftsprachen anstelle des Lateinischen, stieg dieser Anteil signifikant an. Insgesamt müssen Schreiberinnen europaweit etwa 110.000 Manuskripte in mühevoller Handarbeit erstellt haben, von denen heute noch rund 8.000 erhalten sein dürften.

Die Studie betont jedoch, dass diese Zahlen nur die Untergrenze der tatsächlichen Beiträge von Frauen darstellen, da nur Kolophone berücksichtigt wurden, die eindeutig weibliche Namen oder Selbstbezeichnungen enthielten. Fälle, in denen Frauen nur wahrscheinlich oder unsicher identifiziert werden konnten, wurden nicht erfasst.

Vor der Erfindung des Buchdrucks und der Alphabetisierung großer Teile der Bevölkerung war das Schreiben eine exklusive und elitäre Tätigkeit. Das Bild eines Mönchs, der an seinem Schreibtisch ein Manuskript abschreibt, ist eines der typischen Symbole des Mittelalters. Einige bekannte Schreiberinnen wie die deutsche Nonne Guda, die im 12. Jahrhundert ein Predigtbuch mit ihrem Selbstporträt und dem Satz „Guda peccatrix mulier scripsit et pinxit hunc librum“ (Guda, eine Sünderin, hat dieses Buch geschrieben und gemalt) signierte, belegen bereits den Einfluss von Frauen in diesem Bereich. Die neue Analyse legt jedoch nahe, dass diese wenigen bekannten Frauen keineswegs die Vielzahl der entstandenen Werke alleine bewältigt haben konnten.

Die Erkenntnisse stellen also die gängige Vorstellung in Frage, dass das Schreiben im Mittelalter ausschließlich eine männliche Domäne war, und zeigen die Bedeutung der Frauen, die in dieser Zeit eine stille, aber dennoch wesentliche Rolle spielen konnten.