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Kinder mit Migrationshintergrund leisten entscheidende Care-Arbeit für ihre Familien

2024-09-25

Shazna Leusin war erst zehn Jahre alt, als sie zum Übersetzen zu einem Termin bei einer Frauenärztin geschickt wurde. Ihre Aufgabe? Intime Gespräche für eine Bekannte zu übersetzen. In dieser Situation war das junge Mädchen überfordert: "Sie sagte mir, sie habe beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann Schmerzen."

Heute, im Alter von 30 Jahren, übernimmt Shazna weiterhin wichtige Übersetzungsaufgaben für ihren Vater - sei es bei Behördengesprächen, dem Verfassen von Briefen oder der Kommunikation mit Versicherungen. Besonders bei Arztbesuchen ist es ihr wichtig, dass ihr Vater die Informationen versteht.

Ein schlechtes Gewissen plagt sie noch immer. Ihre Mutter starb an Brustkrebs, weil sie jahrelang keine Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen hatte - nicht zuletzt aufgrund von Sprachbarrieren. "Mein Vater hat viel für mich geopfert. Jetzt kann ich ihm etwas zurückgeben."

Sie gibt zu, dass es in ihrer Kindheit manchmal eine Last war, den Eltern helfen zu müssen. Neun Jahre nach dem Verlust ihrer Mutter hat sie das Gefühl, nicht genug getan zu haben.

In der Schweiz unterstützen schätzungsweise jedes achte Kind zwischen 10 und 15 Jahren Erwachsene. Oft geschieht dies im Verborgenen, insbesondere bei eigenen Eltern. Sofika Yogarasa, Reporterin von SRF, zählt sich selbst zu den "Young Carers". Auch sie half schon in der Kindheit als Übersetzerin für ihre in den 90er-Jahren aus Sri Lanka geflohenen Eltern.

Sie erklärt: "Nein sagen, ist keine Option." In kollektivistischen Gemeinschaften, wie der tamilischen, ist es selbstverständlich, für die Familie zu sorgen, auch wenn dies große Verantwortung bedeutet. Oft führt das zu einem inneren Konflikt: "Man hilft so oft, dass man manchmal keine Lust mehr hat, aber dann folgen die Vorwürfe."

Matthis Schick, leitender Arzt an der Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik des Universitätsspitals Zürich, erklärt, dass die Lernfähigkeit von geflüchteten Menschen durch psychische Traumafolgen beeinträchtigt sei. Ständige Sorgen um die Familie im Herkunftsland oder die Angst vor Abschiebung machen es schwierig, sich auf das Lernen zu konzentrieren.

Können Kinder für ihre Eltern Verantwortung übernehmen? Während einige sagen, dass dies in bestimmten Situationen notwendig ist, gibt es auch kritische Stimmen, die meinen, Kinder sollten in diesem Alter nicht überfordert werden.

Die Überforderung hat auch gesundheitliche Folgen: Rohan Patil, der sich viele Jahre um seine kranken Eltern kümmerte, erzählt, wie sich der Stress negativ auf seine Gesundheit auswirkte. Heute acht Jahre nach dem Tod seiner Mutter hat er den Entschluss gefasst, seine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.

In der heutigen Zeit ist es wichtig, den ungewöhnlichen und oft unsichtbaren Beitrag dieser jungen Menschen zu würdigen. Ihnen sollte Unterstützung angeboten werden, und ihre Leistungen sollten in der Gesellschaft anerkannt werden. Der Stress, den viele "Young Carers" empfinden, zeigt die Notwendigkeit von Programmen zur Unterstützung ihrer psychischen Gesundheit und Bildung. Nur so kann sichergestellt werden, dass diese Kinder nicht unter der Last der Verantwortung zerbrechen, sondern zu gesunden und glücklichen Erwachsenen heranwachsen.