Erderwärmung: Ist das Festhalten am 1,5-Grad-Ziel noch sinnvoll?
2024-11-15
Autor: Luca
Die Weltgemeinschaft strebt bei den Klimakonferenzen offiziell ein Maximalziel von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung an. Doch viele Wissenschaftler warnen, dass wir diesem Ziel bereits gefährlich nahe sind. Was bedeutet das für künftige Klimaschutzziele und wie können Staaten und Bürger weiterhin motiviert werden, aktiv zu handeln?
Der Unterschied zwischen 37,5 und 38 Grad Körpertemperatur ist enorm – ähnliches gilt für die Erde: Wenn die globale Temperatur über 1,5 Grad steigt, befürchtet der Klimaforscher Nico Wunderling von der Goethe-Universität Frankfurt, dass sich das Wettergeschehen drastisch verändern könnte. Er spricht von „doppelt so vielen Dürreperioden und extremen Wetterereignissen“.
Ein Scheitern des 1,5-Grad-Ziels könnte verheerende Folgen haben. Die so genannten Kippelemente, wie der grönländische Eisschild, könnten dann in Bewegung geraten. Bei einer Erwärmung von 1,7 bis 2,3 Grad könnte der Eisschild massiv schmelzen, was zu einem Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sieben Meter führen würde. Auch der Amazonas-Regenwald und die globalen Meeresströmungen könnten durch diese Erhitzung destabilisiert werden.
Aktuelle Daten des EU-Klimawandeldienstes Copernicus zeigen, dass das Jahr 2023 bereits um 1,55 Grad wärmer sein könnte als das vorindustrielle Mittel, zusätzlich angeheizt durch das Wetterphänomen El Niño.
Die Frage bleibt: Wie können wir Politiker und die Bevölkerung motivieren, weiterhin für den Klimaschutz zu kämpfen? Vielen Experten zufolge sind die Diskussionen über Temperaturziele oft zu abstrakt, sowohl für die Politik als auch für die Allgemeinheit. Der Motivationsforscher Thomas Martens fordert, dass Klimawissenschaftler die konkreten Auswirkungen der Erderwärmung klar und verständlich kommunizieren sollten, anstatt sich in Zahlen zu verlieren.
Klimatologin Friederike Otto bezeichnet die 1,5 Grad als einen politischen Kompromiss und warnt vor den physischen Konsequenzen jeder zusätzlichen Zehntelgrad-Erwärmung: mehr Tote und mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlagen verlieren.
Dramatische Zukunftsszenarien könnten zwar einige zum Handeln bringen, die meisten Menschen fühlen sich jedoch durch solche Prognosen eher gelähmt. Klimakommunikationstrainer Christian Gutsche schlägt vor, positive Beispiele wie Kopenhagen zu nutzen, das als Modellstadt für eine klimaneutrale Zukunft fungieren möchte: fahrradfreundlich, grün und lebenswert.
Wir sollten uns aber auch daran erinnern, dass es bereits Fortschritte gibt – vor 15 Jahren sahen wir uns noch auf dem Weg in eine fünf Grad heißere Welt. Physikalisch ist es weiterhin möglich, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wenn wir in den kommenden Jahren unsere CO2-Emissionen dramatisch reduzieren. Laut dem Fachjournal Nature Climate Change könnte dies gelingen, wenn die Menschheit nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt, um die 50-prozentige Wahrscheinlichkeit zu erreichen, dass die Erwärmung unter 1,5 Grad bleibt. Dies wäre nur ein überschaubares Ziel, da global derzeit etwa 40 Milliarden Tonnen CO2 jährlich emittiert werden.
Klimaforscher Wunderling sieht das 1,5-Grad-Ziel nicht nur als mathematische Grenze, sondern als wichtigen Punkt, um Kippelemente des Klimasystems zu bewahren. Er veranschaulicht dies mit einem Eiswürfel: Wenn wir für kurze Zeit den Gefrierpunkt überschreiten, könnte, sofern wir schnell handeln, der Klimawandel möglicherweise noch umgekehrt werden.
Die 1,5 Grad sind also weit mehr als nur eine Zahl – sie sind ein konkreter Wert, der uns daran erinnert, dass jeder Schritt in die richtige Richtung zählt, um die Erde für zukünftige Generationen zu bewahren.