Welt

Ein unvergesslicher Restaurantbesuch in Kiew: Haute Cuisine mitten im Krieg

2025-01-04

Autor: Leonardo

„Hundert Jahre zurück in die Zukunft“: Dieser kreative Name des Restaurants im Herzen von Kiew verspricht nicht nur ein kulinarisches Erlebnis, sondern auch eine tiefere Verbindung zur ukrainischen Kultur. Das Lokal zieht ein trendiges, kulturinteressiertes Publikum an, wobei viele Gäste jung sind und einige sogar ihre Haustiere, wie ein kleines, weisses Hündchen, mitbringen, das neugierig die Atmosphäre beobachtet.

Der talentierte Koch Yevhen Klopotenko, der das Restaurant seit 2019 mit seiner Partnerin führt, erklärt stolz: "Es ist das ukrainischste Restaurant der Welt. Wir verwenden keine Zitronen oder schwarzen Pfeffer, sondern ausschließlich Zutaten, die in der Ukraine wachsen." Seine Vorspeise, Pastinaken mit geräuchertem Sauerrahm und Beeren, ist nicht nur eine Gaumenfreude, sondern auch eine kulinarische Hommage an die Vergangenheit.

Klopotenko ist sich bewusst, dass die sowjetische Vergangenheit tragische Spuren in der ukrainischen Esskultur hinterlassen hat. „Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es nur noch drei oder vier Kochbücher, die die ukrainische Küche dokumentierten“, erläutert der 37-Jährige. Daher begab er sich auf eine aufwendige Entdeckungsreise durch das Land, sprach mit älteren Menschen und ließ sich von der Literatur inspirieren. Er fand auch alte Rezepte und Geschichten, die die nationale Identität festigen.

Ein besonders originelles Element seiner Menüs ist die Verwendung von Hirse, die er häufig aufsetzt, beispielsweise in Form eines süßen Breis mit Mohnsamen und Sauerampfer. Aber das Herzstück von Klopotenko’s Küche ist die Randensuppe Borschtsch – für ihn ein echtes Kulturgut und ein Symbol ukrainischer Identität. Klopotenko macht deutlich, dass 60 Prozent seiner Gerichte traditionellen Rezepten entstammen, während 40 Prozent kreative Neuinterpretationen sind.

„Die Suche nach Identität ist für uns Ukrainer äußerst wichtig,“ betont Klopotenko. „Mit Beginn des Krieges haben viele Menschen begonnen, ihre ukrainische Identität zu leben, ihre Sprache und Kultur aktiv zu pflegen.“ Diese Entwicklung spiegelt sich nicht nur im Restaurant, sondern in der ganzen Gesellschaft wider.

Klopotenko ist jedoch nicht nur im Hauptrestaurant in Kiew aktiv. Direkt nach Kriegsbeginn eröffnete er ein Bistro in Lwiw, wo er drei Monate lang kostenlos für geflüchtete Menschen kochte. Letzten Sommer öffnete ein weiteres Restaurant in Kiew seine Türen. Zudem hat er an der Reform von Schulkantinen mitgewirkt und gibt Kochbücher heraus, die sich mit der ukrainischen Küche beschäftigen. Inmitten des Krieges hat er sich also zu einem vielseitigen Unternehmer entwickelt.

Auf die Frage, wie er all dies in der gegenwärtigen Situation bewältigen kann, lacht Klopotenko und sagt: „Es ist einfacher als vor dem Krieg. Damals machte ich mir Sorgen, bankrott zu gehen. jetzt lebe ich von Tag zu Tag. Es ist einfacher, Risiken einzugehen, denn das Leben ist unvorhersehbar.“ In Zeiten, in denen man nicht einmal sicher sein kann, ob man die Nacht überlebt, gibt man Geld leichter aus – denn vielleicht wird es am nächsten Tag nicht mehr gebraucht.

Sein Ansatz und seine Entschlossenheit machen ihn zu einem Symbol für Hoffnung und Widerstandsfähigkeit in einer Zeit voller Unsicherheiten. Das Restaurant, das nicht nur gastronomisch, sondern auch kulturell wirkt, ist ein Zeichen dafür, dass die ukrainische Identität und Geschichte nach wie vor lebendig sind und zelebriert werden können, selbst im Angesicht des Krieges.