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Alarmstufe Rot: Ist die amerikanische Demokratie wirklich akut gefährdet – nicht nur durch Trump?

2024-09-22

Stephan Bierling, Professor für Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, warnt kurz vor den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen vor einer ernsthaften Bedrohung der amerikanischen Demokratie. «Die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft hat ein alarmierendes Ausmaß erreicht, und dies ist nicht nur ein résultat von Trumps Einfluss», betont Bierling in einem aktuellen Interview.

Die Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern, die tief in alle gesellschaftlichen Bereiche eindringt, führt zu einer kaum überwindbaren Kluft. Laut Bierling ist das für ein Präsidialsystem "Gift". Die Väter der amerikanischen Verfassung hatten bereits vor dem Potenzial einer solch tiefen Spaltung gewarnt.

Das Präsidialsystem ist besonders anfällig für politische Spannungen, da der Präsident und der Kongress aus unterschiedlichen Wahlen hervorgehen, was bedeutet, dass Mehrheiten nicht immer übereinstimmen. Dies könnte dazu führen, dass der Präsident gezwungen ist, über Parteigrenzen hinweg zu arbeiten, um eine funktionierende Regierung aufrechtzuerhalten.

Bierling sieht Trump nicht als Hauptverursacher dieser Spaltung, sondern vielmehr als ein "Symptom" von Entwicklungen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben. «Obwohl Trump auf diesen Strömungen schwimmt, ist er gleichzeitig ein Katalysator, der sie durch seine aggressive Rhetorik verstärkt», erklärt er weiter. Trumps Verhalten verletzt die grundlegenden Normen der amerikanischen Demokratie. Seine Angriffe auf politische Gegner, die er als 'Ungeziefer' bezeichnet, zeigen eine Offenheit für unehrenhaftes Verhalten und eine Missachtung der politischen Mäßigung, die für demokratische Gesellschaften von zentraler Bedeutung ist.

Hinter Trumps Aufstieg steckt nicht nur Zufall; er hat jahrelang eine erfolgreiche Fernsehsendung moderiert und gelernt, wie er die Stimmung der Wähler am besten beeinflussen kann. Bierling unterstreicht, dass Trump ein gutes Gespür für die Bedürfnisse und Ängste der amerikanischen Bevölkerung hat.

Das Problem sind jedoch seine autoritären Tendenzen. «Die amerikanische Demokratie ist nicht auf jemanden wie ihn vorbereitet, der wie ein Tsunami über die politischen Normen hinwegrollt», warnt Bierling. Dies könnte weitreichende Folgen für die zukünftige Stabilität des politischen Systems haben.

Selbst innerhalb der Republikanischen Partei gibt es kaum Einigkeit über Trumps Rolle. Viele führende Republikaner wollten ihn anfangs nicht als Präsidentschaftskandidaten, bis es ihm gelang, die Partei zu dominieren. Die Demokraten hingegen sind langsam dabei zu lernen, welche Fehler in den Jahren vor Trump gemacht wurden.

Mit der Ernennung von Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin sieht sich die Partei jedoch einem doppelten Druck ausgesetzt. Über eine klare politische Positionierung könnte sie angesichts der weit verbreiteten Spaltung des Landes zu kämpfen haben. Die mehrheitliche Wählerschaft hat sich stark polarisiert, sodass Wechselwähler eine Seltenheit geworden sind. Nur etwa 3 Prozent der Amerikaner könnten sich vorstellen, zwischen den beiden großen Parteien zu wechseln.

Daher hängt der Wahlsieg stark von der Mobilisierung der eigenen Wähler ab. Trumps Kampagne könnte auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen, da auch er gezwungen ist, extrem präzise und strategisch vorzugehen, um die breite Basis seiner Unterstützer zu halten. Die kommenden Wahlen haben einmal mehr das Potenzial, chaotisch zu stammen, denn sowohl Trump als auch Harris müssen vor den sehr engen Wahlmargen der letzten Jahre aufpassen.

Insbesondere für Harris könnte die lange gesuchte Identifikationsfigur der Demokraten eine Quelle des Erfolgs oder Misserfolgs sein. «Es gibt eine große Sehnsucht nach neuen Gesichtern, die die politischen Werte der Partei verkörpern könnten, aber die Chance, dass ihre Kampagne vor dem 5. November scheitert, besteht ebenfalls.» Bei Trump ist die strategische Exploitation von Wählerängsten und -vorurteilen unverändert stark, was es für Harris enorm schwierig macht, einen klaren Kurs zu finden und gleichzeitig alle Wähler zu bedienen.

Diese Wahlen könnten nicht nur über die politische Zukunft in den USA entscheiden, sondern auch darüber, ob die Demokratie als solche unter dem Druck von Polarisierung und extremen politischen Positionen in der Moderne überleben kann.