Ruth Dreifuss kritisiert "ohrenbetäubendes Schweigen" des Bundesrates in der EU-Debatte
2025-01-03
Autor: Noah
Ruth Dreifuss, die ehemalige sozialdemokratische Bundesrätin, hat in einem kürzlich veröffentlichten Interview scharfe Kritik am Bundesrat bezüglich der Europafrage geübt. Sie bemängelt, dass die Regierung nicht die notwendige Führungsrolle einnehme, die von ihr erwartet wird.
Dreifuss, die in den 1990er Jahren eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Bilateralen Abkommen I und II spielte, betont, dass der Bundesrat damals energiegeladen aufgetreten sei, um diese wichtigen Verträge durchzusetzen. Im Gegensatz dazu scheint sie besorgt über die heutige Unsicherheit und Inaktivität der Regierung hinsichtlich der Beziehungen zur EU.
„In der Zeit der Bilateralen gab es eine starke Führungsrolle des Bundesrates, um die Verhandlungen voranzutreiben. Dieser Eindruck existiert heute nicht mehr“, äußerte sich Dreifuss gegenüber der Zeitung „Le Temps“. Das Fehlen einer klaren Position und Prioritäten sei besonders besorgniserregend.
Veröffentlichte Protokolle der Bundesratssitzungen aus dem Jahr 1994 zeigen eine zögerliche Haltung der Exekutive nach dem Scheitern des Europäischen Wirtschaftsraums im Jahr 1992. Dreifuss beschreibt dies als eine Zeit hoher Spannungen, in der das Kollegium unsicher war, welche Themen in den Gesprächen mit Brüssel behandelt werden sollten.
Sie kritisiert das „ohrenbetäubende Schweigen des Bundesrates“ und verweist auf die Bemühungen von Botschafter Roberto Balzaretti, die Ergebnisse der Verhandlungen mit Brüssel der Öffentlichkeit näherzubringen. „Die Erklärung des Verhandlungsabbruchs war von einer auffälligen Stille begleitet. Seitdem habe ich vom Bundesrat nicht viel mehr gehört“, so Dreifuss.
Die Dringlichkeit der Annäherung an Europa sieht Dreifuss ähnlich wie in den frühen 90er Jahren, wenn nicht sogar noch dringlicher. Auch wenn die Gründe für eine engere Zusammenarbeit mit der EU bestehen bleiben, erkennt sie, dass die Widerstände nahezu identisch sind. Diese kritische Situation wirft Fragen über die Zukunft der Schweiz-EU-Beziehungen auf, während die politischen Entscheidungsträger gefordert sind, eine klare Strategie zu entwickeln, um das Reputation und die Rolle der Schweiz in Europa zu festigen.