
Monaco: Eine Schweizerin macht die Dächer des Fürstentums grün
2025-03-15
Autor: Noah
Es sind ungewöhnliche Geräusche, die plötzlich aus dem Nichts ertönen. Ein Rascheln, ein Gackern, ein Krähen – eindeutig tierische Klänge. Doch wo könnte sich hier in Monaco ein Bauernhof verstecken, wo jeder Quadratmeter Grundstück verbaut ist und nur Wolkenkratzer in den Himmel wachsen? Auf einem versteckten Zwischendach des höchsten Gebäudes des Stadtstaats, der Tour Odéon – 49 Stockwerke hoch – findet sich das grüne Reich von Jessica Sbaraglia und ihren Hühnern.
125 Stufen führen hinauf in das Paradies der gebürtigen Schweizerin. Statt eines Holzzauns umgeben die Häuser des Stadtteils La Rousse den Garten. Seit den 1950er-Jahren hat sich das beschauliche Fürstentum unter Fürst Rainier III. in ein echtes Manhattan am Mittelmeer verwandelt. Immer noch entstehen neue Stadtteile, indem durch ingenieurtechnische Meisterleistungen Land vom Meer zurückerobert wird, auf dem dann noch mehr Hochhäuser errichtet werden. Der Quadratmeterpreis für Wohnungen beginnt bei schwindelerregenden 43'000 Franken.
Wie kam Jessica Sbaraglia jedoch hierher? Nach ihrer Karriere als Model folgte sie ihrem Freund nach Monaco. Dort bemerkte sie die tristen Betonflachdächer der Stadt. Um dem Einheitsgrau entgegenzuwirken, begann sie, auf dem kleinen Balkon ihrer Wohnung mit dem Pflanzen von Blumen und später auch Gemüse. "Das Gemüse aus dem Supermarkt schmeckte mir nicht", erzählt die mittlerweile 35-Jährige, "und ich erinnerte mich an die köstlichen Rüben, Gurken und Tomaten aus dem Garten meiner Eltern in der Nähe von Basel."
Die große Chance ergab sich, als Jessica bei einem Event Fürst Albert II. traf. Mit viel Mut sprach sie ihn an und erzählte von ihrem Plan, die Dächer Monacos zu begrünen. Der Fürst war sofort begeistert und bot ihr an, ein Stück Land seiner Stiftung zu bepflanzen – 30 Quadratmeter. Das war der Startschuss für ein beeindruckendes Projekt.
Heute, unterstützt von drei Angestellten, bewirtschaftet Jessica Sbaraglia mehrere Gärten in Monaco, die alle nach dem Prinzip der Permakultur angelegt sind. Ihr Arbeitsplatz über den Dächern von Monaco bietet einen atemberaubenden Blick auf die Stadt, das Meer und die Berge, die nördlich des Fürstentums beginnen. Das Gemüse, Obst, Kräuter und die frischen Eier sind begehrt – die Bewohner der angrenzenden Hochhäuser reißen ihr die Erzeugnisse förmlich aus den Händen. "Ich könnte fünfmal so viel verkaufen wie ich produziere", freut sie sich. Ihre Gärten bieten nicht nur Farbe, sondern verbessern auch die Luftqualität in der betonlastigen Umgebung.
Jährlich produziert sie vier Tonnen pestizidfreies Gemüse, das auch die Gourmetrestaurants in Monaco beliefert. Besonders alte Gemüsesorten, die im milden Klima der französischen Riviera hervorragend gedeihen, sind bei den Chefs äußerst beliebt. Für den Michelin-Sternekoch Marcel Ravin hat sie sogar einen kleinen Gemüsegarten direkt neben seinem Restaurant angelegt – "keine fünf Schritte bis zum Kochtopf".
Doch Jessica hat größere Pläne: Sie will ihr Konzept weiter verbreiten. Dazu besucht sie Schulen und bringt den monegassischen Kindern die Vorteile von nachhaltiger Landwirtschaft näher. Sie erklärt, wie Hühnerdung als Dünger wirkt und welche Rolle Bienen als Bestäuber spielen. Ihr Ziel ist es, die Kinder zu ermutigen, selbst aktiv zu werden und vielleicht eines Tages Teil dieser grünen Revolution zu werden.
Wenn man mit Jessica Sbaraglia durch ihren Biogarten geht, spürt man ihre Leidenschaft. "Schau dir diesen Warzenkürbis an!", ruft sie und hebt eine ungewöhnliche, knotige Frucht in die Höhe. Sie pflückt eine zierliche, rote Blüte von einem Strauch und lädt zum Probieren ein. "Die meisten wissen gar nicht, dass viele Blüten essbar sind!"
Zwischen Hochbeeten mit Auberginen, Gurken und scharfer Chili sowie einem großzügigen Gehege für ihre zwölf Hühner vergisst man schnell, dass man sich im dicht besiedelten und reichsten Land der Welt befindet. Die Luxusjachten in den Häfen liegen dicht beieinander, und einmal im Jahr wüten die Formel-1-Boliden beim Großen Preis von Monaco durch die Straßen – alles scheint hier oben weit entfernt zu sein.
Jessica Sbaraglia wird jedoch bald die Grenzen Monacos überschreiten, um ihre Vision der nachhaltigen Landwirtschaft weltweit zu verbreiten. In Nizza wird sie acht Dachgärten gestalten, die durch Brücken miteinander verbunden sind. Auch in der Nähe von Brüssel wurde sie angefragt, eine Dachfläche einer großen Shoppingmall in einen Garten zu verwandeln. Ihr spannendstes Projekt plant sie bereits in der Schweiz: ein Schlossdach im Jura, das sie zur Oase verwandeln möchte. Wer weiß, wo ihre Idee einer dachgartenbegrünten Stadt noch weitere Früchte tragen wird.