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Internationale Diplomatie in Genf: Ein Weckruf zur Neuanpassung?

2025-03-22

Autor: Lukas

Ein strahlender Vormittag in Genf: Vor dem Palais des Nations, dem Hauptsitz der Vereinten Nationen in der Stadt, versammeln sich Touristen, um Selfies vor einem gigantischen, 12 Meter hohen Holzstuhl zu machen, der jedoch stark beschädigt ist. Dieses Kunstwerk, bekannt als „Broken Chair“, soll den Opfern von Landminen gewidmet sein und hat sich zu einem Symbol für den fragilen Zustand internationaler Organisationen entwickelt, die Genf einst zur Drehscheibe für globale Zusammenarbeit machten.

Der Multilateralismus steht unter Druck. Besonders seit der Amtszeit von Donald Trump, als er milliardenschwere Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit einfror. Diese Woche kündigte die Internationale Organisation für Migration den Abbau von 250 Stellen in Genf an, während die USA sich aus dem Menschenrechtsrat zurückzogen. Auch die Weltgesundheitsorganisation ist nun in Gefahr, betroffen zu werden. Viele Nichtregierungsorganisationen haben bereits Massenentlassungen angekündigt, und die Haushaltskrise betrifft das gesamte Spektrum humanitärer Aktivitäten.

Die stolze Stadt Genf gilt als Hauptstadt des Multilateralismus – ein Ort, an dem 193 UN-Mitgliedsländer zusammenarbeiten sollten, um Frieden und Wohlstand zu fördern. Seit der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im Jahr 1863 sind hier über 500 NGOs und internationale Organisationen angesiedelt. Doch der aktuelle Zustand dieser Institutionen ist so angeschlagen wie der beschädigte Stuhl vor dem UN-Gebäude.

Steht die Diplomatie, wie sie in Genf betrieben wird, an einem Wendepunkt? Und welche Auswirkungen hat dieser Umbruch auf die Schweizer Außenpolitik, die sich durch ihre Vermittlungsdienste einen Namen gemacht hat?

Der Weckruf aus Genf

In einem historischen Gebäude in der Altstadt von Genf, gleich neben der Kathedrale, hat Nathalie Fontanet, die FDP-Finanzministerin und Regierungsratspräsidentin, ihren Sitz. Kürzlich kritisierte sie die langsame Reaktion des Bundesrates auf die Krise des internationalen Genf. Ihrer Meinung nach sei diese Reaktion nicht „à la hauteur“ und nicht angemessen. Die Kantonsregierung hat bereits Maßnahmen ergriffen, um die Standortattraktivität Genfs ab Sommer durch eine neue Stiftung zu fördern, die öffentliche und private Gelder mobilisieren soll.

Zusammen mit einer Konferenz zur Zukunft des Multilateralismus erklärte Fontanet: „Solidarität, Menschlichkeit und Menschenrechte sind die Grundlagen unserer Identität hier in Genf und die Wurzeln der Schweiz.“ Doch ist diese Vorstellung der humanitären Tradition in Genf nicht nur eine romantisierte Erzählung?

Handel über Menschenrechte

Sacha Zala, Experte für Schweizer Diplomatie und Leiter der Forschungsstelle für diplomatische Dokumente, weist darauf hin, dass Genfs Aufstieg eng mit dem wirtschaftlichen Interesse des Bürgertums zusammenhing, das sich für den globalen Handel und die industrielle Revolution einsetzte. Genf etablierte sich als Zentrum für internationale Standards und Normen. Der Fokus lag anfangs primär auf Handelsfragen, und nicht auf Menschenrechten. Bis heute sind viele der in Genf ansässigen Organisationen technischer Natur, die sich mit geistigem Eigentum und Kommunikationsstandards beschäftigen. Diese Organisationen sind von den finanziellen Rückschlägen, die Trump verursacht hat, nicht betroffen, da ihr Nutzen für die USA weiterhin hoch geschätzt wird.

Die oft gepriesenen humanitären Werte hingegen spiegeln sich in den vielfältigen multilateralen Aktivitäten der UN wider, die nach dem Fall der Mauer 1989 die Hoffnung auf die Verbreitung von Menschenrechten und Gleichheit hegten. Trotz dieser Bestrebungen erwies sich die Realität als anders. In Ländern wie Russland und China endeten die Hoffnungen auf demokratische Reformen in einer direkten Konfrontation mit westlichen Werten.

Die Schweiz versucht verzweifelt ihre Rolle als Friedensstifterin zu behaupten, auch wenn sie oft zwischen den Interessen der großen Mächte lavieren muss. Die Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023 legte die schwindende Bedeutung der Schweiz offen, während die geopolitischen Realitäten eine enge Zusammenarbeit zwischen den Großmächten förderten – oft ohne Rücksicht auf Diplomatie.

Thomas Greminger, ehemaliger Generalsekretär der OSZE, betont die Notwendigkeit, dass die Schweiz ihre Rolle im Angesicht der Herausforderungen durch den US-Multilateralismus neu definieren muss. Diplomatische Erfolge sollten durch diskrete Gespräche und nicht durch öffentliche Konfrontationen erzielt werden. Die identitätsstiftenden Werte der Schweiz sind zwar nach wie vor von Bedeutung, doch müssen sie pragmatischer angegangen werden.

Eine neue Generation von Diplomaten

Im Graduate Institute in Genf studieren junge Menschen aus über 100 Nationen internationale Beziehungen – eine neue diplomatische Elite könnte heranwachsen. Doch in einer Zeit, wo einige wenige Großmächte über Frieden und Krieg entscheiden, stellt sich die Frage, ob diese Absolventen noch benötigt werden.

Professor Achim Wennmann ist überzeugt, dass der Multilateralismus sich anpassen kann. Anstatt sich auf die großen Mächte zu verlassen, sollten nichtstaatliche Akteure und Initiativen in den Vordergrund treten. In Genf mobilisiert sich eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen, die ohne die USA agieren können. Die Frage bleibt jedoch, ob dies die Lösung ist, die als Strategie für die Zukunft dienen kann.

Außenminister Ignazio Cassis verfolgt derzeit die Möglichkeit, einen Waffenstillstand in der Ukraine zu überwachen, wobei die Schweiz 2026 die OSZE-Präsidentschaft übernehmen möchte. Ob dieser Fokus auf Friedenssicherung und diplomatischen Einfluss der richtige Weg ist, wird sich zeigen müssen.