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Heiratsstrafen in der Schweiz: Warum die Debatte aktuell wichtiger ist denn je

2024-09-24

Eine Kollegin erzählte mir neulich: "Mein Mann und ich sollten uns scheiden lassen". Ihre Begründung war alarmierend: Sie könnten jährlich bis zu 20.000 Franken an Steuern sparen. Wie viele Paare in der Schweiz stehen sie vor der Herausforderung der sogenannten Heiratsstrafe – einem Steuermodell, das verheiratete Paare nicht nur benachteiligt, sondern auch in die Überlegung einer Scheidung treibt. Bei dieser Familie handelt es sich um gut ausgebildete Menschen mit einem Teenagerkind; ihre Situation ist kein Einzelfall, sondern spiegelt die Erfahrungen vieler Paare wider.

Der politische Kampf gegen die Heiratsstrafe

In der Schweiz ist die Uneinigkeit über die Heiratsstrafe ein weit verbreitetes Thema. Der Vorschlag einer Individualbesteuerung, bei der Ehepartner separat besteuert werden, wird von vielen als fairer angesehen. Ziel ist es, die Steuerlast unabhängig vom Zivilstand zu gestalten. Diese Diskussion ist alles andere als neu: Bereits 1984 hat das Bundesgericht festgestellt, dass verheiratete Paare in bestimmten Fällen benachteiligt sind.

Am 25. September wird der Nationalrat über einen direkten Gegenvorschlag des Bundesrates abstimmen, der mit einer Initiative von FDP-Frauen zur Individualbesteuerung in Verbindung steht. Der Vorschlag umfasst unter anderem eine Erhöhung des Steuerfreibetrags für Kinder, um Familien in der Schweiz zu entlasten.

Wie sieht es im Ausland aus?

In vielen europäischen Ländern haben Reformen in den letzten Jahrzehnten den Wechsel von der Gemeinschafts- zur Individualbesteuerung eingeleitet. Schweden war einer der Vorreiter und führte die Individualbesteuerung bereits 1971 ein, während Staaten wie Großbritannien und die Niederlande das gleiche Modell bereits erfolgreich umsetzen.

Es ist bemerkenswert, wie anders die Schweiz positioniert ist. Während viele Länder den Fortbestand traditioneller Rollen in Frage stellen, bleibt die Heiratsstrafe hier ein ungelöstes Problem. In Zypern und Griechenland gibt es ähnliche Strukturen, die in der modernen Gesellschaft nicht mehr tragbar scheinen.

Die zwei Gesichter der Besteuerung

Obwohl es in der Schweiz eine klare Heiratsstrafe gibt, existiert auch ein Heiratsbonus: Verheiratete profitieren von einem vorteilhaften Steuertarif. Eine Analyse des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Luzern zeigt jedoch, dass nicht alle Ehepaare benachteiligt sind; 46 Prozent genießen sogar Vorteile. Diese Mehrdeutigkeit macht die Debatte komplex und zeigt, dass nicht alle finanziellen Anreize eindeutig sind.

Ein Umdenken in der Bevölkerung

Immer mehr Paare entscheiden sich allerdings bewusst gegen die Ehe, um die Heiratsstrafe zu umgehen. Die Statistiken zeigen, dass jedes fünfte Kind in einem Konkubinat zur Welt kommt. Immer mehr moderne Paare bevorzugen egalitäre Lebensmodelle, die auf Gleichheit und gegenseitige Unterstützung basieren.

Zusätzlich zur Steuerdebatte hat die Rolle der Frauen am Arbeitsmarkt einen beeindruckenden Wandel durchgemacht. Der Bundesrat hat geschätzt, dass durch einen Wechsel zur Individualbesteuerung bis zu 44.000 neue Vollzeitarbeitsplätze geschaffen werden könnten. Diese Zahl könnte jedoch aufgrund der bereits bestehenden veränderten Arbeitsverhältnisse niedriger ausfallen.

Blick in die Zukunft

Die Debatte um die Heiratsstrafe wird die politische Agenda der Schweiz weiterhin prägen. Während sich die Lebensrealitäten von Paaren wandeln, bleibt die Politik oft einen Schritt zurück. Der Druck auf die Politik wächst, um eine fairere und gerechtere Besteuerung zu entwickeln, die den modernen Lebensmodellen entspricht. In der Frage, ob die Heiratsstrafe abgeschafft wird, könnte das demografische Wandeln und der Wertewandel der Gesellschaft schließlich das Zünglein an der Waage sein. Fragen wie Karriere, finanzielle Unabhängigkeit und Familienplanung werden zu Schlüsselfaktoren in der zukünftigen politischen Diskussion.