Gesundheit

Wenn Ungewissheit zur Krankheit führt: Der stille Kampf der Unternehmer

2025-04-07

Autor: Sofia

Frau Dr. Klinger, was sind Ihrer Meinung nach die häufigsten Ängste, mit denen Unternehmer und Führungskräfte konfrontiert sind, die auch gesundheitliche Folgen haben können?

Immer mehr Unternehmer und Führungskräfte leiden an einer sogenannten Ungewissheitsintoleranz. Sie sind gefangen in einem komplexen und oft unübersichtlichen Umfeld, das ständige Herausforderungen mit sich bringt. Gleichzeitig kämpfen sie mit einem übersteigerten Pflichtbewusstsein und enormem Leistungsdruck. Dieses Vordrängen in den »Funktionier-Modus« führt dazu, dass Körper und Geist aus dem Gleichgewicht geraten. Symptome wie Schlafstörungen, verminderte Leistungsfähigkeit, Erschöpfung, Herzprobleme, Bluthochdruck und Verspannungen im Schulter-, Nacken- und Rückenbereich sind die Folge. In vielen Fällen entwickeln sich daraus ernsthafte Angststörungen, die den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Viele Unternehmer warten zu lange, um Hilfe in Anspruch zu nehmen, weshalb es wichtig ist, die ersten Warnsignale ernst zu nehmen.

Ein weiteres häufiges Problem ist Agoraphobie, die sich in verschiedenen spezifischen Ängsten äußert. Betroffene haben Panik vor Situationen, aus denen sie nicht flüchten können, oder haben das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Typische Symptome sind Herzklopfen, Atemnot und Brustschmerzen. Diese Ängste können in unausweichliche Panikattacken münden. Ein Beispiel ist ein Manager, der unter sozialer Angst leidet und ständig fürchtet, negativ beurteilt zu werden. Augenkontakt oder das öffentliche Sprechen wird zur großen Herausforderung.

Wie verbreitet sind Angststörungen unter Führungskräften?

Die Datenlage ist dünn, jedoch zeigt eine Studie der Uni Marburg aus dem Jahr 2011, dass 34 Prozent der Unternehmer an einer angstbedingten Störung leiden. Das Tabu-Thema Angst erschwert zudem die Datenerhebung. Neben Depressionen sind Angststörungen die häufigsten psychischen Erkrankungen.

Was sind die Warnzeichen für eine Angststörung?

Ängste sind wichtig und können in kritischen Situationen lebensrettend sein. Problematisch wird es, wenn Körper und Geist ständig im Alarmmodus sind, ohne dass eine reale Gefahr besteht. Besonders Führungspersonen sind anfällig, da Ungewissheitsintoleranz und Perfektionismus die Entwicklung von Angststörungen begünstigen können. Es handelt sich oft um einen schleichenden Prozess, der den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigt.

Weitere Risikofaktoren sind unter anderem ein ungesunder Lebensstil. Unzureichender Schlaf, Bewegungsmangel und eine unausgewogene Ernährung sind entscheidend. Exzessiver Alkohol, Zigarettenkonsum und Drogen verstärken die Wahrscheinlichkeit einer Angststörung. Es muss kein asketisches Leben geführt werden, sondern ein ausgewogenes Lebensstil ist entscheidend.

Zudem spielt das menschliche Stresssystem eine wichtige Rolle. Forschungsarbeiten belegen, dass das Stresssystem bereits in der frühen Kindheit massiv geprägt wird, oftmals schon während der Schwangerschaft. Emotionale Vernachlässigung von Eltern gilt als Hauptfaktor, gefolgt von körperlicher Gewalt. Positive Faktoren, wie eine wichtige Bezugsperson oder soziale Unterstützung, können jedoch helfen, um negative Auswirkungen abzumildern.

Menschen mit Angststörungen zeigen oft ein defizitorientiertes Handeln: Sie sind kritisch gegenüber ihrer Umgebung und haben Schwierigkeiten, die positiven Aspekte des Lebens zu erkennen. Diese ständige kritische Analyse führt oft dazu, dass sie nicht in der Lage sind, Momente zu genießen oder sich über Erfolge zu freuen. Ein Beispiel für eine solche Stresssituation ist das Überprüfen von E-Mails während der Mittagspause anstatt das Essen zu genießen. Hier könnte Achtsamkeit helfen, bewusst Zeiten der Entspannung einzuplanen.

Wann sollten Unternehmer medizinische Hilfe suchen?

Wenn Gefühle wie Freudeverlust, Konzentrationsprobleme, Schlaf- oder Appetitstörungen über einen längeren Zeitraum bestehen, ist das ein Warnsignal. Wer Schwierigkeiten hat, abzuschalten oder unter schweren Gedanken leidet, sollte dringend ärztlichen Rat einholen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Eine der effektivsten Methoden ist die kognitive Verhaltenstherapie, in der Patienten angeregt werden, sich aktiv mit ihren Ängsten auseinanderzusetzen. Zu den weiteren Optionen zählen auch Therapien wie Musik- oder Bewegungstherapie. Letztendlich kann in schweren Fällen auch eine medikamentöse Unterstützung notwendig werden. Ein umfassender Gesundheitscheck kann zudem sinnvoll sein, um die Symptome im psychosomatischen Kontext zu betrachten.

Welche Vorurteile begegnen Ihnen in der Praxis?

Unternehmer empfinden oft Scham und Stigma, wenn sie über ihre Ängste sprechen. Wir betonen daher im ersten Gespräch, dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss. Oft merken wir, wie gut es den Betroffenen tut, in einem geschützten Rahmen über ihre Probleme zu sprechen. Tränen fließen häufig, doch meist bringt es sie dem Ziel, ein besseres Leben zu führen, näher - auch wenn dieser Weg Zeit braucht.