
Von Toleranz zu Terror: Wie die Deutschen zu Nazis wurden – Götz Alys Aufklärung
2025-09-17
Autor: Louis
Ein Blick zurück: Die Wandelbarkeit der Geschichte
Die Geschichten über die deutsche Kontinuität nach 1945 sind zahlreich und vielschichtig. Ein besonders bemerkenswerter Fall ist der Schauspieler Erich Ponto, der 1928 in der Uraufführung von Brecht und Weills «Dreigroschenoper» die Rolle des Gangsterbosses Jonathan Peachum verkörperte.
Doch nur zwölf Jahre später trat er in der antisemitischen Propaganda des NS-Regimes auf, indem er den jüdischen Bankier Mayer Amschel Rothschild in «Die Rothschilds» spielte. Nach dem Krieg, im Juli 1945, spielte er erneut eine Schlüsselrolle: das weise Nathan in Lessings «Nathan der Weise», ein Zeichen für Toleranz zwischen Juden und Christen.
Götz Aly enthüllt die dunklen Geheimnisse der NSDAP
Der Historiker Götz Aly beschäftigt sich in seiner umfassenden Studie «Wie konnte das geschehen?» mit dieser Komplexität. Sein Schwerpunkt liegt weniger auf der Empörung über den Nationalsozialismus, sondern vielmehr auf der Suche nach den Gründen für dessen erschreckende Attraktivität.
Er stellt die gängige Auffassung in Frage, die NSDAP sei nur die Partei einer dummdreisten, unaufgeklärten Masse gewesen. Stattdessen begrüßt er die Tatsache, dass viele gut ausgebildete Deutsche, die nach Fortschritt strebten, bereit waren, sich dem Nationalsozialismus zuzuordnen.
Ein neues Partei- und Gesellschaftsverständnis
Aly argumentiert, dass die NSDAP, anders als andere Parteien ihrer Zeit, eine moderne, klassenübergreifende Bewegung war. Sie profitierte von der Bildungsrevolution und einer neuen demokratischen Offenheit in Deutschland. Hitlers anfangs chaotische und destruktive Ambitionen fanden in dieser neuen Gesellschaftsstruktur unerwarteten Zulauf.
Zustimmungsdiktatur: Die Illusion der Freiheit
Wie fanden Hitler und seine Anhänger die Zustimmung für ein gewaltsames Regime? Aly erklärt, dass Gewalt nicht der Hauptträger des Nationalsozialismus war. Stattdessen entstand eine sogenannte Zustimmungsdiktatur, die den als „Arier“ geltenden Menschen durch Sozialpolitiken und Schaffung von Freizeitangeboten wie dem Programm „Kraft durch Freude“ Anreize bot.
Der perfide Mechanismus der Mitwisserschaft
Alys Analyse zeigt, dass die Nazis eine perfide Kluft zwischen Wissen und Handeln schufen. Sie ermöglichten es der Bevölkerung, die NS-Verbrechen zu dulden und sich mehr oder weniger unbewusst mit ihnen zu identifizieren. Gern wurde ein Wir-Gefühl geschaffen, das die massenhafte Exklusion der Juden legitimierte.
Die schockierende Wahrheit über den Antisemitismus
In vielen Erklärungen zum Holocaust steht der eliminatorische Antisemitismus im Vordergrund. Aly verfolgt einen anderen Ansatz: Er betont, dass der Holocaust auch ein Mittel zur materiellen Bereicherung der deutschen Bevölkerung war, indem Werte der ermordeten Juden konfisziert wurden. Die brutale Raubpolitik erweiterte das Vermögen ihrer Nachbarn.
Die Frage nach den Wurzeln der Schuld bleibt offen
Aly zeigt die abstruse Schuldumkehr, die die Nazis etablierten, auf. Sie gaukelten dem Volk vor, aus Notwehr zu handeln, während sie selbst die Täter ihrer eigenen Anklagen waren. Doch trotz all dieser Einsichten bleibt die zentrale Frage: Wie konnte es zu einem solchen Verbrechen kommen? Aly argumentiert, dass zur Aufklärung dieser komplexen Geschichte mehr Mut und Ehrlichkeit gefordert sind.
Einsichten für die Zukunft
Götz Alys fast 800-seitiges Werk fordert dazu auf, sich nicht auf die düsteren Ecken der Geschichte zu beschränken. Der moderne Deutsche braucht einen differenzierteren Blick auf die Vergangenheit, um zu verstehen, wie leicht es sein kann, in eine Mitschuld verwickelt zu werden. Nur durch eine umfassende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und eine Wiederholung verhindern.