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Opfer von Medikamententests erhebt seine Stimme: "25.000 Franken sind nicht genug für ein ruiniertes Leben".

2024-09-15

Zwischen 1946 und 1980 wurden rund 3.000 Menschen in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen unter der Leitung des Psychiaters Roland Kuhn zum Testen von Medikamenten missbraucht. Der unerschütterliche Wille von Walter Emmisberger, einem der ehemaligen Patienten, bringt nun einige Erleichterung für die Betroffenen.

Walter Emmisberger, 68, aus Fehraltorf ZH, hat über ein Jahrzehnt gekämpft, um den Opfern dieser unmenschlichen Praktiken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dank seines Engagements wird der Kanton Thurgau jetzt 25.000 Franken als Entschädigung an die Betroffenen auszahlen, jedoch sieht Emmisberger dies als unzureichend an. "25.000 Franken sind nicht viel für ein verpfuschtes Leben, und viele der Betroffenen sind bereits gestorben", sagt er.

Der Psychiater Roland Kuhn, der zwischen 1946 und 1980 zahlreiche Medikamente auf 3.000 unwissenden Patienten testete, handelte sowohl aus eigenem Interesse als auch im Auftrag diverser Pharmaunternehmen. Emmisberger war einer von vielen, die über die Klinik hinaus auch in Kinderheimen brutal behandelt wurden, wo er oft hart arbeiten musste, bevor ihn die Pfarrleute an Kuhn "übergaben".

Die Tests umfassten nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche. Emmisberger selbst erlebte in den 1960er Jahren, dass er in nur zwei Jahren sieben verschiedene Medikamente verabreicht bekam, darunter nie veröffentlichte Wirkstoffe der Pharmafirma Ciba, die später zu bekannten Antidepressiva entwickelt wurden.

Die verabreiteten Substanzen hatten erhebliche Nebenwirkungen, die von Herzrhythmusstörungen bis zu Gedächtnisproblemen reichten. Emmisberger berichtet von Erfahrungen, die ihn ein Leben lang plagen. Er leidet unter wiederkehrenden Panikattacken und Albträumen, die seine Lebensqualität stark einschränken.

Die Realität der Medikamententests war schockierend. Wie Emmisberger feststellen musste, wurde er oft ohne seine Zustimmung behandelt. Kuhn gab 1989 zu, dass er Patienten niemals um ihre Einwilligung gefragt hatte. Die Betroffenen waren oft besonders vulnerabel: Kinder aus Heimen, Jugendliche in Erziehungsanstalten und so genannte Verdingkinder.

Nach jahrelangem Kampf erhielt Emmisberger Akteneinsicht. In einer der klinischen Studien, die von Historikern zur Aufarbeitung herangezogen wurden, fand man 45 Kisten mit Patientenakten. Darunter befand sich auch die Dokumentation seiner eigenen Geschichte, die zeigt, wie tragisch die Situation war.

Die offiziellen Entschädigungen werden von der ehemaligen Pharmafirma Ciba, nun Teil von Novartis, mit 4 Millionen Franken ergänzt. Dennoch ist Emmisberger mit diesem Teilerfolg unzufrieden. Er fordert mehr Verantwortung von den Pharmaunternehmen, die weiterhin hohe Gewinne mit den getesteten Substanzen erzielen. "Es ist Zeit, dass wir die wahren Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!" sagt er entschlossen.

Trotz der weitreichenden Stigmatisierung der Opfer bleibt Emmisbergers Name in der Geschichte der Medikamententests präsent. Sein unermüdlicher Einsatz könnte eine Welle des Wandels für ähnliche Missstände in der Zukunft auslösen – ein Lichtblick für all jene, die unter ähnlichen Umständen gelitten haben.