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Netflix setzt auf harte Bandagen: Die 'Kommunikative Peitsche' im Personalmanagement

2024-09-21

Netflix' Personalpolitik im Fokus

Der Streaming-Riese Netflix hat eine eigene und umstrittene Methode zur Mitarbeiterführung etabliert, die die Sorgen um Arbeitsplatzsicherheit systematisch als Antrieb nutzt. Unter dem Namen 'Keeper-Test' werden Führungskräfte dazu aufgefordert, sich zu fragen, ob sie einen bestimmten Mitarbeiter erneut einstellen würden. Wenn die Antwort 'Nein' lautet, ist eine Entlassung die Konsequenz.

Das Prinzip ist klar: Netflix folgt einer Philosophie, die es den Angestellten erschwert, sich sicher zu fühlen. Die permanente Angst vor einer Entlassung soll nicht nur den Einsatz erhöhen, sondern auch die Mitarbeiter dazu bringen, über ihre Leistung nachzudenken und sich konstant zu verbessern.

Das 'Dream Team' Konzept

Im Gegensatz zu traditionellen Unternehmensstrukturen betrachtet Netflix sich selbst nicht als Familie, sondern als 'Dream Team', in dem Leistungsträger im Vordergrund stehen. Jeden Mitarbeiter, der nicht als unverzichtbar angesehen wird, könnte man besser schnell entlassen. Besonders herausfordernd für die Angestellten ist hierbei, dass die Arbeit in einem der am schnellsten wachsenden Unternehmen der Welt nicht für jedermann geeignet ist. Wer nicht mithält, muss gehen.

Die Ursprungsgeschichte des 'Keeper-Tests'

Netflix liefert sogar eine amüsante Anekdote über den Ursprung des Namens: Mitgründer Reed Hastings soll auf einer Angeltour die Worte seines Vaters gehört haben: 'That's a keeper Reed!', was zur Namensgebung des Tests führte.

Kritik an der Unternehmensstrategie

Die Strategie wird als Teil einer zunehmenden Kultur der Angst innerhalb großer Unternehmen beschrieben. Michael Beckmann, Professor für Personal und Organisation an der Universität Basel, kritisiert diese Form des Managements und bezeichnet sie als 'shock and awe' – eine Führung, die durch Angst und Schrecken geprägt ist. Die Idee hinter dieser Praxis ist, dass ständige Jobangst die Mitarbeiter dazu bringt, alles für den Job zu geben, was langfristig negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden haben kann.

Herausforderung im Kontext des Fachkräftemangels

Beckmann weist auch darauf hin, dass diese Art des Managements nicht mit den üblichen Aussagen über Wertschätzung der Mitarbeiter vereinbar ist, die viele Unternehmen propagieren. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wäre ein mitarbeiterfreundlicherer Umgang wünschenswert, um qualifizierte Angestellte zu halten.

Export amerikanischer Praktiken?

Die 'shock and awe' Kultur hat ihren Ursprung in den USA, wird aber zunehmend weltweit exportiert, besonders wenn amerikanische Führungskräfte in ausländischen Unternehmen tätig werden. In der Schweiz, laut HR-Experte Jörg Buckmann, ist eine solche aggressive Personalpolitik jedoch kaum vorstellbar, da hier ein sorgsamer Umgang mit Mitarbeitern tief verwurzelt ist. Selbst mit liberalen Kündigungsschutzgesetzen in der Schweiz wird die 'kommunikative Peitsche' als unangebracht angesehen.

Fachkräfte im Entscheidungsprozess

In Anbetracht der Taktiken, die von Netflix verfolgt werden, stellen sich viele die Frage, wie Entwickler und Kreative in einer derart angespannten Atmosphäre arbeiten können, ohne dass es zu Burnout und anderen gesundheitlichen Problemen kommt. Die Herausforderung für Unternehmen wird es sein, ein Gleichgewicht zwischen den Erwartungen an hohe Leistung und dem Erhalt des Wohlbefindens der Mitarbeiter zu finden. Der Druck kontinuierlicher Leistung könnte in der Tat die Arbeitsqualität auf lange Sicht gefährden.

Gerade in Hochlohnländern wie der Schweiz ist der humane Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur wünschenswert, sondern auch essenziell, um die besten Talente zu gewinnen und zu halten. Das Beispiel Netflix könnte somit eine Alarmglocke für andere Unternehmen sein, die ähnliche Methoden in Betracht ziehen.