Mongolei unter Druck: Die kaschmirige Blase und ihre düsteren Folgen für die Steppe
2025-01-01
Autor: Leonardo
In der weitläufigen, grün-braunen Steppe der Mongolei lebt Irtmatr, ein 68-jähriger Nomade, in seiner traditionellen Jurte. Der Lebensstil der Nomaden zieht sich über Generationen hinweg, doch die aktuelle Entwicklung bringt die empfindliche Natur in Gefahr.
„Als ich 1995 hierher zog, war das Gras so hoch, dass ich meine Tiere kaum sah“, erinnert sich Irtmatr, und fügt hinzu: „Heutzutage bleibt nur noch ein paar Zentimeter Gras stehen, bevor die nächsten Herden alles abfressen.“
Die Zahl der Weidetiere ist seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er Jahren explodemiert und hat sich vervierfacht. In der Vergangenheit gab es strenge Vorgaben, die Zahl der Tiere zu limitieren. Diese Regelung ist nun aufgehoben, und die Nomaden stellen ihre Herden mit Pferden, Kamele, Kühe, Schafe und vor allem Kaschmirziegen zusammen. Die Zahl der Kaschmirziegen hat sich in diesem Jahrhundert von geschätzten sieben Millionen auf etwa 30 Millionen vervielfacht.
Das Feinste vom Feinen: Kaschmir hat einen hohen Marktwert. „Ich erhalte 130.000 Tugrik pro Kilogramm, was etwa 35 Franken entspricht“, erklärt Irtmatr stolz. Im Kontrast dazu ist der Preis für Schafswolle in den Keller gefallen; nur noch 15 Rappen pro Kilogramm erhält er dafür. Dieser wirtschaftliche Anreiz führt allerdings zu einer Überweidung: Die Kaschmirziege beschädigt bei der Weidehaltung die Grasnarbe, was das Nachwachsen des Grases erschwert und die Steppe zunehmend verwüstet. Die Vereinten Nationen schätzen, dass 57 Prozent des Weidelands in der Mongolei gefährdet sind.
Um das Problem zu bekämpfen, plant die nationale Organisation für Weidenutzung unter der Leitung von Burmaa Dashbai, einen Standard für Nomaden zu etablieren. „Wir gründen Weidenutzergruppen, in denen 30 oder 40 Familien gemeinsame Regeln für die landwirtschaftliche Nutzung festlegen“, erklärt sie.
Doch die Umsetzung der Standards gestaltet sich kompliziert, da viele Familien hin und her ziehen und einen intensiven Austausch benötigen. Trotzdem zeigt sich die Direktorin optimistisch: „Die Nachfrage nach zertifizierten Produkten wächst. Käuferschichten wollen immer mehr Rohstoffe aus traditionellen Familienbetrieben.“
Auch Irtmatr ist der Meinung, dass Zusammenarbeit für die Nomaden wichtig ist: „Wir muss mehr wie eine Gemeinschaft leben, um gemeinsam Lösungen zu finden.“ Leider wird ein Großteil des gewonnenen Kaschmirs derzeit nach China exportiert. Irtmatr hofft, dass die heimische Verarbeitung des Kaschmirs gestärkt wird, um die lokale Wirtschaft zu fördern.
Aber die Verlockung des Marktes ist groß. „Weniger Ziegen sind besser für die Qualität der Fasern. Ich habe nur 70, es bringt mehr, trotz der großen Nachfrage und dem Druck zur Massenproduktion“, sagt Irtmatr. Der Fall eines Nachbarn mit 1000 Ziegen zeigt die Realität: Während er viele Tiere hatte, litt er unter schlechtem Qualitätsertrag und Verlust durch den harten Winter.
Qualität statt Quantität – das ist das Ziel vieler Nomaden. Der Drang zur Massenproduktion durch ständige Nachfrage könnte jedoch langfristig verheerende Auswirkungen auf die Steppe haben. Die Mongolei steht an einem kritischen Punkt; ob der Erhalt der einzigartigen Steppe in Zukunft möglich sein wird, hängt nicht nur von den Nomaden, sondern auch von behördlichen Interventionen und globalem Bewusstsein ab.