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Krieg in Kursk: Neuer Fokus auf ein umkämpftes Gebiet – Stellt sich Moskau der Herausforderung?

2024-09-15

In der russischen Grenzregion Kursk eskalieren die Kämpfe seit mehreren Tagen und zeigen eine alarmierende Intensität. Nach der unerwarteten Offensive der Ukrainer Anfang August, bei der sie fast 1000 Quadratkilometer Terrain zurückeroberten, schien es zunächst, als hätten die Fronten sich stabilisiert. Doch mit einem entschlossenen Gegenangriff hat Russland eine unvorhersehbare Dynamik entfesselt, die die Situation grundlegend verändern könnte.

Am Mittwoch griffen russische mechanisierte Truppen ukrainische Stellungen nahe des Dorfes Snagost an, was darauf hindeutet, dass Moskau ernsthaft versucht, die ukrainischen Streitkräfte aus seinem Staatsgebiet zu vertreiben. Laut der Analysegruppe Deep State Map verlor die ukrainische Armee etwa 10 % des kontrollierten Gebiets, konnte jedoch ihre Linien stabilisieren. Trotzdem bleibt die Situation fragil, und viele Analysten sprechen von einer umkämpften Grauzone, die sich erheblich ausgeweitet hat.

Ukrainische Durchbrüche an der Grenze

Am Donnerstag ergriffen die Ukrainer die Initiative und nutzten die russische Bewegung für einen Angriff in den Rücken der gegnerischen Truppen. Videos dokumentieren, wie sie erfolgreich Befestigungen und Minenfelder rund 20 Kilometer westlich der Kursker Front räumten und in neues Gebiet vordrangen. Berichten zufolge gruben sie sich beim Dorf Wesjoloje ein und schufen dort neue Stellungen, während Deep State Map etwa 40 Quadratkilometer als umkämpft ausweist.

Am Wochenende kam es zu weiteren Kämpfen, insbesondere nahe dem Dorf Tjotkino, 20 Kilometer westlich von Wesjoloje. Es bleibt unklar, ob die Ukrainer eine dauerhafte Präsenz beabsichtigen oder lediglich versuchen, die russischen Kräfte durch gezielte Angriffe zu schwächen. Vor einigen Wochen waren die russischen Soldaten gezwungen, sich aus einem sumpfigen Bereich westlich von Tjotkino zurückzuziehen.

Kiew hat so strategisch bedeutende Orte an der Grenze freigekämpft, um möglichen Vorstößen Platz zu schaffen. Ihr Ziel könnte es sein, die russischen Nachschubwege in dieser Region abzutrennen: Die Russen verteidigen einen schmalen Korridor zwischen Snagost und Tjotkino, den die Ukrainer von drei Seiten flankieren. Im Norden bildet der Fluss Seim ein natürliches Hindernis, was die ukrainische Verteidigung begünstigt.

Die Berichte über den Fortschritt der Ukrainer sind schwer zu verifizieren. Die Spezialeinheit „Khorne Group“, die am Durchbruch bei Wesjoloje beteiligt war, meldet, dass 8000 gegnerische Soldaten entweder schnell zurückweichen oder eingekreist werden müssen. Zuvor hatten die Ukrainer wichtige Brücken über den Seim zerstört und damit die russischen Nachschubswege erheblich beeinträchtigt.

Hohes Risiko für Selenski und Putin

Analysten vom ukrainischen Dienst Frontelligence Insight betonen, dass Kursk für beide Seiten eine hohe Priorität hat. Für Putin sind die Kämpfe auf russischem Boden ein Zeichen der Schwäche, während Kiew erhebliche Reserven mobilisiert, die im Donbass dringend benötigt werden. „Es wird immer wahrscheinlicher, dass beide Seiten überproportionale Ressourcen für diese Schlacht einsetzen, was die Risiken für Selenski und Putin erhöhen könnte“, schreiben die Experten.

Anders als Selenski muss sich Putin nicht vor einer kritischen Öffentlichkeit rechtfertigen, was bedeutet, dass der Druck derzeit hauptsächlich in Kiew spürbar ist. Selenski und seine Militärberater beteuern explizit, Russland habe bedeutende Kräfte aus dem Donbass abgezogen, obwohl es dafür kaum Belege gibt. Vor allem im Süden von Pokrowsk dringt der Invasor weiter vor, was die Besorgnis über eine mögliche Eskalation der Konfliktes schürt.

Die ukrainische Armeeführung schätzt, dass etwa 30.000 russische Soldaten in der Region Kursk eingesetzt werden, während Selenski von bis zu 60.000 bis 70.000 spricht. Diese Zahlen sind jedoch schwer nachzuvollziehen. Sollten sie korrekt sein, könnte Russland logistisch nicht in der Lage sein, diese neuen Truppen effizient einzusetzen. Experten beschreiben die Qualität der Einheiten als sehr unterschiedlich, wobei sowohl unerfahrene als auch gut ausgerüstete Formationen zum Einsatz kommen.

Die Frage nach dem langfristigen Sinn der laufenden Offensive bleibt. Neben der Hoffnung, Russland militärisch zu schwächen, lassen sich auch tiefergehende politische Strategien vermuten. Diese Operation könnte auch aus der Angst entstanden sein, nach einem möglichen Sieg Trumps in den USA über Nacht den wichtigsten Waffenlieferanten zu verlieren und in Verhandlungen gedrängt zu werden.

Westlicher Druck auf Kiew

Mit dem Kampf um Kursk erhoffen sich die Ukrainer, einen strategischen Vorteil zu erlangen, der eventuell in Verhandlungen über russisch besetztes ukrainisches Gebiet einfließen könnte. Trotz der jüngsten Entwicklungen und der Kandidatur von Harris aus Washington bleibt die militärische Unterstützung für Kiew fragil und kommt häufig mit Verzögerungen und politischen Auflagen, insbesondere aus Deutschland. Während sich die Lage in Kursk zuspitzt, bleibt die Frage, ob diese Unterstützung rechtzeitig und in ausreichendem Maße bereitgestellt wird.