Das sagt die TV-Werbung über die aktuelle Grippesaison: Ein exklusives Interview mit Kasseler Virologe
2025-01-23
Autor: Emma
Die Zahl der Grippe-Infektionen in der Region Kassel steigt. Im Gespräch mit der HNA äußert sich Dr. Marcus Thomé, Virologe und Chefarzt für Infektionsdiagnostik am Klinikum Kassel, über die Herausforderungen und Entwicklungen der aktuellen Influenza-Saison.
In den letzten Wochen sind in öffentlichen Verkehrsmitteln, Büros und auch am Familientisch wieder vermehrt Husten und Schnupfen zu hören. Das Gesundheitsamt der Region Kassel hat alarmierende Zahlen veröffentlicht: Die Anzahl der bestätigten Influenza-Fälle hat sprunghaft zugenommen. So gab es in der ersten Woche des Jahres lediglich 13 Fälle, während es in der zweiten Kalenderwoche bereits 48 und in der darauf folgenden Woche 78 bestätigte Infektionen waren. Dr. Thomé erklärt, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten wohl noch höher ist, da viele Erkrankte keine Arztpraxis aufsuchen oder nicht auf Influenza getestet werden.
Spannenderweise beobachtet Dr. Thomé auch einen Anstieg von TV-Werbung für Grippemittel in Zeiten hoher Infektionszahlen. "Sobald das Virus aktiv ist, nutzen Unternehmen die epidemiologischen Daten, um ihre Produkte zu bewerben. Es ist fast so, als ob die Werbeindustrie unabhängig von den Gesundheitsstatistiken operiert. Nach einer Werbepause am Sonntagabend habe ich drei Anzeigen für Grippemittel in kurzer Zeit gesehen", berichtet er mit einem Schmunzeln.
Interessanterweise sind nicht einmal 30% der mit Influenza Infizierten symptomatisch. Von 100 infizierten Personen zeigen nur etwa 15 echte Symptome, die einen Arztbesuch rechtfertigen. Viele Träger des Virus sind asymptomatisch, können aber dennoch ansteckend sein.
Dr. Thomé bemerkt außerdem, dass die Grippe in dieser Saison später aufgetreten ist als gewöhnlich. "In den vergangenen Jahren waren wir bereits im November mit Influenza-Fällen konfrontiert, doch dieses Jahr war es erst ab Dezember der Fall", erklärt er. Am Klinikum Kassel werden täglich 30 bis 40 Tests auf Influenza und Corona durchgeführt, vor allem bei Notfallpatienten.
Eine positive Bemerkung macht er zum bisherigen Verlauf der Grippesaison: "Bis jetzt hatten wir einen relativ milden Winter, was uns in Bezug auf saisonale Erkältungen zugutekommt." Er weist jedoch darauf hin, dass dies nicht bedeuten muss, dass die Grippesaison vorbei ist. Meteorologische Faktoren wie Kälte können die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen.
Die ersten positiven Influenza-Fälle traten in dieser Saison vor allem bei Kindern auf. Dr. Thomé erklärt: "Kinder sind oft von anderen Virusstämmen betroffen als Erwachsene. In diesem Jahr sehen wir vor allem Influenza B bei den Kleinen, während Erwachsene häufig die H1N1-Variante haben."
Im Moment scheinen Grippe-Infektionen häufiger als Corona zu sein. Laut Dr. Thomé hat jeder vierte bis fünfte Patient mit grippeähnlichen Symptomen tatsächlich eine Influenza-Infektion, während es bei Corona nur jeder 20. ist. "Es ist bemerkenswert, dass COVID-19 im Klinikum Kassel kaum eine Rolle spielt. Die meisten COVID-Patienten werden nicht wegen der Infektion behandelt, sondern aufgrund anderer gesundheitlicher Probleme."
Nach den Corona-Jahren hat sich herausgestellt, dass das Immunsystem vieler Menschen nicht gut auf Influenzaviren vorbereitet war, was zu einem Anstieg von Grippe-Infektionen führt. Jedoch sieht Dr. Thomé den Post-Corona-Effekt langsam abnehmen und stellt fest, dass viele Menschen immer noch vorsichtiger sind, wenn es darum geht, in sozialen Situationen krank zu erscheinen.
Anstelle von „Grippewellen“ spricht er lieber von einer „saisonalen Influenza“, um die Angst vor dem Virus zu mildern. "Der Begriff Welle vermittelt oft ein verzerrtes Bild der Realität. Die aktuelle Situation ist nicht besonders besorgniserregend, zumal mehr Mitarbeiter aufgrund anderer Viren als der Grippe ausfallen."
Insgesamt ist die Lage herausfordernd, aber die Vorhersagen für die kommende Zeit sind ungewiss. Es bleibt abzuwarten, ob die Zahl der Grippe-Infektionen weiter steigen wird oder ob die bisherigen Trends anhalten. Wichtig bleibt, die eigene Gesundheit ernst zu nehmen und auf Hygiene zu achten.
Die Grippesaison ist eine jährliche Herausforderung, die durch verschiedene Faktoren wie Wetter und Virusvarianten beeinflusst wird. Ein umfassender Schutz, insbesondere durch Impfungen, ist entscheidend, um die Verbreitung von Influenza zu minimieren. Ärzte empfehlen, bei grippeähnlichen Symptomen rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen, insbesondere für Risikogruppen.