Brienz wird erneut evakuiert – Wann ist ein Dorf nicht mehr zu retten?
2024-11-15
Autor: Mia
Das malerische Dorf Brienz in der Schweiz steht erneut vor einer kritischen Herausforderung. Nachdem die Bewohner bereits beim ersten Mal mit einem Schicksal konfrontiert waren, das viele andere Schweizer Dörfer ebenfalls betrifft, sehen sich die verbliebenen 80 Bewohner nun erneut gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – und das in einer Zeit, in der die Natur immer unberechenbarer wird.
Die Szenarien sind alarmierend. Guttannen, ein Nachbardorf auf 1057 Metern Höhe, hat ähnliche Schicksale erlebt. Lawinen und Murgänge haben nicht nur Häuser gefährdet, sondern auch wertvolle landwirtschaftliche Tiere geraubt. Im Jahr 1999 zum Beispiel kostete eine rasch herannahende Lawine 10 Kühe und 25 Hühner das Leben. Bereits 2005 führte starker Regen zu einem der größten Murgänge in den Alpen, der die Dorfstraßen mit Schlamm und Dreck überflutete.
Das Klima verändert sich. Der Permafrost taut zusehends und bringt neue Herausforderungen mit sich, während die Bäche immer mehr Geröll transportieren. Die Menschen in Guttannen haben sich bis jetzt nicht geschlagen gegeben, auch wenn in der Gemeinde bereits 2013 die Frage aufkam, ob man einen Teil des Dorfes möglicherweise aufgeben sollte. Das Vertrauen in die Statistiken war stark, doch die Realität spricht eine andere Sprache. Wer vor den Naturgefahren Angst hat, hat sich längst abgesetzt.
In einem dramatischen Kommentar hat Lukas Rühli, ein Forschungsleiter einer renommierten Denkfabrik, zu denken gegeben: „Es gibt sicher einzelne Täler und Siedlungen, für die sich die Frage stellt, ob sie in Zukunft aufrechterhalten werden können.“ Diese Worte kommen nicht von ungefähr – die Unwetter im Wallis und Tessin haben massive Schäden verursacht und der Versicherungsverband schätzt, dass die versicherten Gesamtschäden zwischen 160 und 200 Millionen Schweizer Franken liegen.
Die Diskussion im Land wird emotional. Die Bergbewohner fühlen sich oft als Opfer von Entscheidungen, die fernab ihrer Realität getroffen werden. Sie sind nicht bereit, über ihre Lebensweise durch Bürokraten, die nur Zahlen sehen, beurteilt zu werden. Obwohl Rühli keine klare Forderung zur Räumung von Dörfern stellt, wirft er eine bittere Frage auf: Wann wird ein Dorf aufgegeben? Und wer hat das Recht, über das Schicksal der Menschen zu entscheiden?
Auf der anderen Seite ist die Schweiz bekannt für ihre Art, mit Krisen umzugehen – Evakuierungen erfolgen nur im Falle akuter Lebensgefahr und nicht aus wirtschaftlichen Überlegungen. Aktuell wird ein Entwässerungsstollen in Brienz gebaut, dessen Kosten sich auf 40 Millionen Franken belaufen – eine enorme Summe für eine so kleine Gemeinde. Die Frage bleibt: Ist diese Investition ausreichend, um den stetig drohenden Naturkatastrophen entgegenzuwirken?
Starke Stimmen aus der Politik und der Bevölkerung fordern ein Umdenken. Bradetzung und aktives Handeln sind nötig, um sicherzustellen, dass die Kosten-Nutzen-Fragen nicht dauerhaft die Sicherheit gefährden. Die Realität zeigt: Das Leben in den Bergen hat seinen Preis, und für den Zusammenhalt müssen sämtliche Ressourcen mobilisiert werden.
Der interkantonale Finanzausgleich und diverse Fördermaßnahmen sind entscheidend dafür, dass die Alpenregion nicht entvölkert wird – doch auf welche Weise können eine nachhaltige Zukunft und der Erhalt der Gemeinden gesichert werden? Die Diskussion um Brienz könnte der Weckruf für viele andere gefährdete Dörfer in der Schweiz sein. Es ist an der Zeit, die Stimme der betroffenen Menschen ernst zu nehmen – denn sie stehen an der Frontlinie der Naturkräfte.